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«Geehrter Herr Arschloch, liebe Frau Fotze»

Dieser Haufen wehrt sich lachend, trinkend, rauchend und lesend gegen den Hass. Ganz links sitzt die Initiantin Ebru Tasdemir.

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Weil sie nicht Müller und Meyer heissen, sondern Kiyak, Amjahid oder Musharbash, bekommen sie jeden Tag viel Post. Manchmal sind es Gedichte. Manchmal mit getrockneten Blümchen verzierte Zettel, die aussehen wie Liebesbriefe. Meist sind es Mails. Und immer sind die Botschaften voller Hass und Rassismus.

«Schön, dass Sie zwischen zwei Ehrenmorden noch Zeit finden, eine Kolumne zu schreiben»,

stand in einem Mail an Deniz Yücel, TAZ-Redaktor. Mit «Du bepimmelter Kackmuslim» redete ein «Spiegel»-Leser den Journalisten Hasnain Kazim an. Der gebürtige Deutsche hat pakistanische Wurzeln und ist überzeugter Christ.

Die Journalistinnen und Journalisten schreiben für Zeitungen, die Wert legen auf Niveau. Nicht so deren Leserschaft. Dummheit ist nicht schichtabhängig und Rassismus, dank der Anonymität im Internet, wieder sichtbar salonfähig. «Uns wird das Recht abgesprochen, für deutsche Zeitungen zu schreiben, bloss weil wir so heissen, wie wir heissen», sagt Ebru Tasdemir*. Die Deutsche mit türkischen Wurzeln arbeitete damals bei der Tageszeitung TAZ, als sie sich eines Abends mit einer Kollegin auf Facebook über die vielen Hassmails lustig gemacht hat, die sie und viele ihrer Kollegen regelmässig erhalten. «Am nächsten Morgen um acht war die Idee geboren: Lass uns das doch mal in einer Show vortragen», erzählt Ebru Tasdemir. Die Redaktionen wie auch die Öffentlichkeit sollten erfahren, dass sie wegen ihrer fremd klingenden Namen von der Leserschaft regelmässig beschimpft werden. Als «türkische Islam-Muschi» oder

«Linker gehirnamputierter christlicher Islamspeichel­lecker-Journalistenoberdepp»

So entstand in Anlehnung an Slam-Poetry die Idee zur «Hate Poetry».

Im Januar 2012 gab es im TAZ-Café in Berlin die erste Show. Ebru Tasdemir betrat zusammen mit Mely Kiyak, Yassin Musharbash und Deniz Yücel eine improvisierte Bühne, die Kroatin Doris Akrap moderierte. «Wir wollten zwar Hassmails vorlesen, aber es durfte auf keinen Fall eine ernsthafte Veranstaltung werden. Nichts mit dem Prädikat ‹politisch wertvoll›», sagt Tasdemir. Alle hatten so viel Material angeschleppt, dass sie sich zehn Minuten vor der Show, nervös rauchend und sich Mut antrinkend, noch Kategorien ausdenken mussten. Die Hassbriefe mussten geordnet werden. Diese Kategorien heissen bis heute: 1. «Sehr geehrter Herr Arschloch, liebe Frau Fotze». 2. «Grosse Oper».?3. «Abokündigung. 4. «Kurz und schmutzig».

Dass man über derart bösartige Zuschriften überhaupt lachen kann, liegt an der Inszenierung, die sich die Journalistengruppe mit den verdächtigen Ypsilons und Üs in den Namen ausgedacht hat: Sie kommen als Ausländerklischees auf die Bühne, in billigen Nylonanzügen oder mit Kopftuch. Sie bringen Accessoires mit wie Moscheewecker, Fotos von kurdischen Freiheitskämpfern, türkische Flaggen, Terroristenmasken. Das Konzept: Sie treten mit den dümmsten und rassistischsten Leserbriefen gegeneinander an. Alle lesen pro Runde eine Hassbotschaft vor, wer die krasseste Beleidigung geboten hat, bekommt einen Preis. Sie tragen vor, theoretisieren wenig.

Es habe etwas Kathartisches, solche Hassbotschaften gemeinsam auf der Bühne vorzutragen, sagt Ebru Tasdemir. «Es ist wichtig, um sich darin bestätigt zu sehen, dass man nicht die Einzige ist, die solche Post erhält.» Auch wenn sie wollen, dass das Publikum lacht, ist es ihr ein Anliegen, zu zeigen: Solche Briefe tun weh. Als Journalistin sei man sich zwar gewöhnt, einstecken zu müssen. «Aber wenn die Artikel verlinkt und via Social Media geteilt werden, bekommt man selber und der Hass gegen einen eine unangenehm grosse Präsenz. Dagegen kann man sich nicht wehren. Das verunsichert.»

Zu viert fingen die Angefeindeten an, mittlerweile sind sie manchmal zu neunt auf der Bühne. Manche Kollegen kamen als Gäste und sind geblieben. Dazu gehört auch die «Spiegel»-Redaktorin Özlem Gezer, die 2014 als Erste über die Schätze in der Wohnung des Kunstsammlers Cornelius Gurlitt geschrieben hatte. Auf der Bühne liest sie Botschaften vor wie:

«Wenn wir Deutschen Ihre Grosseltern nicht reingelassen hätten, würden Sie jetzt wahrscheinlich ein Kopftuch tragen, sechs Kinder haben und bestimmt nicht für den ‹Spiegel› schreiben. Wenn Sie überhaupt schreiben könnten.»

Die Show wurde zum Erfolg, manchmal dauert sie über vier Stunden. Wie damals in Dresden, als die Pegida wütete. «Wir haben nach der Show nochmals zwei Stunden lang mit Leuten aus dem Publikum weiterdiskutiert», sagt Tasdemir. Das Publikum reagiere nicht immer gleich. «Manchmal gibt es Standing Ovations. Selten laufen Leute raus, weil sie es anmassend finden, über so viel Vulgarität und rassistische Beleidigungen zu lachen.»

Manchmal fordern sie das Publikum auf, mitzumachen: «Falls es Ihr Hassbrief ist, aus dem wir hier zitieren, dürfen Sie gern auf die Bühne kommen und ihn selber vorlesen.» Bisher hat sich noch nie jemand gemeldet. Aber bloss Nazis als Nazis zu outen, darum geht es ihnen nicht. Auch krasse Drohungen lesen sie nicht vor. «Die sind nicht witzig, da ist auch kein Erkenntnisgewinn drin», sagt Ebru. Sie lesen stattdessen aus solchen Briefen vor, die das aktuelle Klima am stärksten thematisieren: Ich hab ja nichts gegen Ausländer, aber... Das politische, das aufklärerische Moment an ihrer Show ist es, den Rassismus bei Leuten offenzulegen, die sich nicht als Rassisten oder als Rechtsextreme wahrnehmen.

tipp