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Ein meisterhafter Zuckerbäcker

Aus manchen Filmen kommt man glücklich wie ein Kind heraus. Dies gar nicht unbedingt ihrer Thematik wegen, sondern weil man spürt: Hier hatte jemand eine ganz präzise Vorstellung von der Welt, die er schaffen wollte. Wes Anderson ist so ein Filmemacher: Man erkennt seine Werke nach wenigen Einstellungen, und zu seinem Glück als Regisseur und unserem Glück als Zuschauer hat er immer wieder Leute gefunden, die bereit gewesen sind, seine Projekte zu finanzieren – auch wenn das vorangegangene ein kommerzieller Flop war. «Wes zu unterstützen», sagt einer seiner Freunde, «ist für Studiobosse etwas Ähnliches, wie Kunst zu sammeln: Es gibt ihnen das Gefühl, einen guten Geschmack zu haben.»

Wes Anderson, geboren am 1. Mai 1969 in Houston, Texas, als Sohn einer Archäologin und eines Werbers in leitender Position, schrieb schon als Kind Theaterstücke und machte Super-8-Filme zusammen mit Spielkameraden oder seinen beiden Brüdern. An der University of Texas in Austin studierte er Philosophie, was ihn aber rasch langweilte. Also belegte er einen Schreibkurs, und in diesem lernte er Owen Wilson kennen, der später in vielen Anderson-Filmen mitwirken sollte. Bald schrieben sie zusammen ein erstes Theaterstück, danach begann die Arbeit am Drehbuch für einen Spielfilm. Aus ersten Ideen dafür drehten sie einen Kurzfilm mit dem Titel «Bottle Rocket», den sie am Sundance Festival 1994 zeigten.

Der Kurzfilm gefiel dem erfolgreichen Regisseur und Produzenten James Brooks («As Good as It Gets») so gut, dass mit seiner Hilfe fünf Millionen Dollar aufgetrieben wurden, um daraus einen abendfüllenden Spielfilm über drei Möchtegernverbrecher zu machen. Dieser wurde 1996 fertig, aber an kein einziges Festival eingeladen, und seine Herstellungskosten hat er bis heute nicht eingespielt.

Dennoch konnte Anderson für sein nächstes Projekt «Rushmore» (1998) den Komiker Bill Murray gewinnen, und dieser war von der Arbeit mit dem Regisseur so angetan, dass er seither in jedem Anderson-Film mitgewirkt hat. «Mit Wes Filme zu drehen, ist etwas, das dein ganzes Leben betrifft. Für die Dreharbeiten zu ‹Moonrise Kingdom› mietete er ein Riesenhaus, in dem wir alle wohnten und in dem auch ein Schneideraum war. Ausserdem stellte er einen tollen Koch an. So konnte man entspannt sein, für eine miese Gage endlos lang arbeiten, wie das bei Studiofilmen üblich ist, aber auch sicher sein, dass man danach etwas zu essen bekommen würde.»

Hochachtung für gutes Handwerk

Anderson, heisst es, sei nicht gern allein und deshalb schreibe er auch seine Drehbücher immer gemeinsam mit Freunden wie den Schauspielern Owen Wilson und Jason Schwartzman oder dem Produzenten Roman Coppola. Manche Anderson-Deuter meinen, sein Hang, eine Art Familie von Mitarbeitern um sich zu scharen, rühre daher, dass seine Eltern sich scheiden liessen, als er acht Jahre alt war. Tatsächlich geht es in seinen Filmen auffällig oft um zerrüttete Familienverhältnisse. (Das trifft ganz besonders auf «The Royal Tenenbaums» zu, den das Xenix Donnerstag bis Sonntag um 21.15 Uhr in seiner Reihe «We Used to Be Family» zeigt.)

Wes-Anderson-Filme bleiben einem vor ­allem aus visuellen Gründen in Erinnerung: Da ist jede einzelne Einstellung durchkomponiert, gibt es Farben und Details wie bei keinem anderen. Das stellt an die Mitarbeiter besonders hohe Anforderungen. Doch wer so etwas mag, kann bei Anderson eben auch brillieren. Der Ausstatter Adam Stockhausen beispielsweise war schon bei «The Darjeeling Limited» (2007) und «Moonrise Kingdom» (2012) mit von der Partie. Für «The Grand Budapest Hotel» (siehe nebenstehende Kritik), das im fiktiven Alpenkurort Zubrowka stehen soll, baute er die ­Innenräume des Hotels in ein leer stehendes Warenhaus in Görlitz, der östlichsten Stadt Deutschlands. Die Aussenansicht wiederum ist eine ­Miniatur, die in den Werkstätten der nahe gelegenen ­Babelsberger Studios hergestellt wurde.

Ende letzten Jahres ist das prächtige Buch «The Wes Anderson Collection» erschienen (von dem der «Züritipp» fünf Exemplare verlost). Oft stellt der Autor Matt Zoller Seitz darin so endlos lange, selbstverliebte Fragen, dass Anderson nur mit «Right», «Yes» oder «No» antwortet. Ohnehin ist das, was Anderson tut, viel interessanter als das, was er darüber zu sagen hat. Sehr aufschlussreich ist hingegen der Bildteil, denn er zeigt, wie oft Anderson Hommagen an Regisseure wie François Truffaut, Orson Welles oder Federico Fellini einbaut, die er verehrt.

Für Wes Anderson gilt wie für keinen anderen zeitgenössischen Regisseur, was Orson Welles einst angesichts der RKO-Filmstudios gesagt hatte: «Die grösste Modelleisenbahn, die je ein Junge zum Spielen bekommen hat.» Anderson geniesst alle Aspekte des Filmemachens, und er hat eine grosse Vorliebe für altmodische Special Effects: Statt digitaler Technik setzt er sehr gern Miniaturen, aber auch Bildmasken oder Stop-Motion ein. Er hat eine Hochachtung für gutes Handwerk, und manchmal kommt er einem vor wie der Konditormeister Mendl, der in «The Grand Budapest Hotel» die köstlichen «Kurtisanen au chocolat» herstellt. Diese sind die Lieblingssüssigkeiten der ganzen Stadt Zubrowka. Doch in ihnen lässt sich auch Werkzeug verstecken, mit dessen Hilfe man aus einem Gefängnis ausbrechen kann. Und mit nichts können wir zurzeit dem Gefängnis des Alltags auf bekömmlichere Weise entfliehen als mit Wes Andersons filmischer ­Zuckerbäckerei.

tipp