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«Was hat der Jude jetzt wieder?»

Als Jude muss man sich ja so einiges anhören: Ihr könnt gut mit Geld umgehen, du hast eine jüdische Nase, ihr seid ein kluges Volk. So gesehen schreibe ich nicht gern über «jüdischen Humor». Denn dass die Juden besonders lustig sein sollen, ist eben auch ein Klischee – zwar keines der fiesen Sorte, aber es entspricht derselben problematischen Denkweise, nämlich: «Die Juden haben bestimmte Charaktereigenschaften.»

Aber bitte, reden wir über «jüdischen Humor». Immerhin hat das Jüdische Museum Wien eine multimediale Ausstellung zum Thema gemacht, die in Auszügen auch am Zürcher Spektakuli-Festival zu sehen sein wird. Es muss also was dran sein an der ­Sache.

Ich habe allerdings leider keine Ahnung, was «jüdischer Humor» genau ist, obwohl ich immer wieder höre, ein Vertreter davon zu sein. Diese Wahrnehmung ergibt sich wohl aus der simplen mathematischen Funktion, dass ich Jude bin sowie mitunter lustige Sachen von mir gebe. Dann glaubt man, «jüdischen Humor» vorgefunden zu haben und in mir einen Beweis dafür, dass es ihn gibt.

Frage ich jeweils, was das genau sein solle, dieser «jüdische Humor», erklärt man mir, es handle sich um die ironische Betrachtung seiner selbst, um sein Schicksal besser ertragen zu können. «Das ist doch einfach die Definition von Humor selbst?», entgegne ich dann, und die Leute nicken mit einem eigenartigen Lächeln und sagen: «Ja, aber die Juden haben ein besonders schweres Schicksal.» Aha.

Ein Blick ins etymologische Wörterbuch verrät, dass der Humor, ein Terminus der mittelalterlichen Säftelehre, aus der sich die Begriffe «cholerisch» und «phlegmatisch» gehalten haben, ursprünglich ein heiteres Temperament bezeichnet, abgeleitet von «good humour», wörtlich einer guten Säftemischung. Sind die Juden heiterer als andere? Wohnt ihnen eine besonders gelassene Welten- und Selbstbetrachtung inne? Ich finde nicht. Sehe ich die Frommen in Wiedikon, wirken sie auf mich eher streng. Lese ich in der Zeitung, was die israelische Regierung mit ihrem Land anstellt, wirkt das auf mich alles andere als freudig und leicht, und ich kann auch nicht behaupten, dass die Heiterkeit jener Wesenszug sei, den ich in meinen jüdischen Mitmenschen hauptsächlich vorfinde.

«Aber die jüdischen Witze! Es gibt doch da ein Buch!», rufen die Leute, und ich sage: «Ja, von der Schweizer Schriftstellerin Salcia Landmann, sie hat Anekdoten publiziert, die früher im Schtetl von den Rabbinern erzählt wurden – zumindest von den heiteren unter ihnen», und füge an: «Witze sind aber etwas anderes als Humor. Sie haben eine Pointe, und wenn einer einen Witz zu erzählen beginnt, warten alle auf die Pointe, was ihr den eigenen Sinn raubt, nämlich die Überraschung. Ich finde Witze nur lustig, wenn die Pointe wirklich eine ist, und das ist selten der Fall.» Dann schauen mich die Leute verstört an: Was hat der Jude jetzt wieder?

Fassen wir zusammen. Wenn irgendwo die Rede von «jüdischem Humor» ist, werde ich skeptisch, denn wo er erwähnt wird, ist die «jüdische Habgier» meist nicht weit. Bitte verzeihen Sie mir, wenn ich so denke, aber es ist nicht meine Erfindung, sondern eine Zusammenfassung der Dinge, die man mir in den letzten 41 Jahren voller Überzeugung ins Gesicht gesagt und so lange wiederholt hat, bis ich davongelaufen bin.

Zweitens darf man nicht glauben, dass ein lustiges Werk von einem Juden automatisch «jüdischer Humor» sei. Wie Sie sehen, schreibe ich den Begriff konsequent in Anführungszeichen – weil ich nicht daran glaube. Weil ich nie einen Beweis dafür gefunden habe, der ausserhalb des Schtetls Gültigkeit hat. Ich habe wohl lustige Filme von Juden gesehen, witzige Bücher von Juden gelesen und amüsante Chansons von Georg Kreisler gehört, die am Spektakuli übrigens von seinem Ziehsohn Tim Fischer aufgeführt werden – aber das war für mich nie «jüdischer Humor», sondern einfach Humor, und von wem er kommt, war mir immer egal.

Trotzdem freut es mich, dass die jüdische Kultur nicht nur als listiger Fadenzieher der Finanzmärkte angesehen wird, sondern – halt von anderen, klügeren Leuten – auch als etwas Erfreuliches, Gefühlvolles und Faszinierendes. Und dass diese Offenheit zu einem Festival mitsamt Ausstellung und sogar koscherem Catering führt.

Dass dabei auch die Veranstalter immer wieder vom «jüdischen Humor» sprechen, stört mich. Mein Wunsch wäre eine absolut neutrale Betrachtung der Juden, weder eine hässlich negative noch eine liebedienernd positive. Auf dem Weg dahin empfehle ich aber auch mir selbst einen Besuch im Miller's Studio. Das Programm des Kabarettfestivals ist nämlich überaus sehenswert.

tipp