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«Mit Redensarten kann man dreinschlagen?»

Mit Redensarten kann man nicht nur dreinschlagen. Sie eignen sich auch als Blasen vor dem Kopf.

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Es gibt Redensarten, die deutlich ländlichen oder städtischen Ursprungs sind. Gibt es auch eine, die für Sie «typisch Züri» ist?

Ja, «abfaare Züri füfzg».

Natürlich! Die kommt ja gleich am Anfang Ihres Buchs «Blas mer i d Schue» vor. Der Ausdruck hat mit der Post Oerlikon zu tun, welche die Nummer Zürich 50 hatte und besonders schnell war.

Genau. Sonst aber kann man Redensarten kaum je einem bestimmten Ort zuordnen.

Und wie steht es mit «Läck Beck»? Das kommt mir auch sehr zürcherisch vor. In anderen Kantonen sagt man «Läck Bobbi». Das ist vermutlich eine Hüllform.

Das heisst, zugrunde liegt etwas Unanständiges.

Ja, nämlich «läck mer am Arsch».

Viele starke Redensarten sind obszön. Warum eigentlich?

Wenn Männer oder Frauen unter sich sind, brauchen sie gern Wörter, die ins Sexuelle, Skatologische oder Religiöse gehen. In Wörtern, die vom tugendhaften Gebrauch abweichen, liegt ein Reiz. Mit solchen Wörtern kann man sprachlich auftrumpfen, Aufmerksamkeit erlangen, weil sie beim Gesprächspartner stärker haften bleiben als der Normalton der Sprache.

Das haben Sie sehr schön gesagt.

Dieser Reiz ist oft die Funktion von Redensarten. Das breite Publikum vom ?16.? Jahrhundert an war nicht an abstrakte Sprache gewöhnt. Also brauchten die Autoren jener Zeit bildliche Ausdrücke, die in der Lebenswelt ihrer Leserschaft situiert waren. Ausserdem, das sieht man beim Prediger Abraham a Sancta Clara oder Luther: Mit Redensarten und Schimpfwörtern kann man sprachlich dreinschlagen.

Und woher stammt das Wort «Schafseckel»?

«Schaf» ist sowieso ein Schimpfwort. «Schafs­eckel» spricht das Sexuelle an und ist somit eine Verstärkung.

Und «huere» als Verstärkung wie in «huereguet»? Es gibt eine Theorie, das heisse «ungeheuer». Stimmt das? Nein. Das kommt von «Hure». Verstärkungswörter in der Mundart wie «cheibe», «choge», «verdammt», «verreckt», «rüdig» – die sind alle negativ. «Cheib» und «Chog» bezeichnen ja Aas. Diese negativen Wörter haben eine sprachliche Kraft. Man hat sie zuerst gebraucht, um negative Wörter zu verstärken: «Das isch e huere Tubel.» Doch mit der Zeit wird «huere» zum reinen Verstärkungswort und verliert seine negative Bedeutung.

Wie gehen Sie mit neuen Wörtern und Redens­arten um? Ich bekomme Würmer, wenn ich einen Schweizer «Es füelt sich guet aa» sagen höre.

Nein, meine Déformation professionnelle geht so weit, dass mich das nicht ärgert. Ich brauche solche Ausdrücke einfach selbst nicht, mein Berndeutsch ist ja eher ältlich. Ich sage noch «zwe Manne, zwo Froue, zwöi Ching». Ärgern ist der falsche Ansatz. Eine Sprachform, die so wichtig wie das Schweizerdeutsche ist, da es unsere normale Alltagsredesprache ist, hat eine Hauptfunktion: Sie muss mit der Welt, in der man sie braucht, problemlos fertigwerden. Sie hat deshalb nie die Funktion, auf einem bestimmten Stand stehen zu bleiben. Das würde dieser Grundfunktion widersprechen. Sie muss sich vielmehr ständig verändern, anpassen. Nehmen Sie technische Begriffe wie «Scheinwerfer»: Auf Berndeutsch sagt man nicht «wärfe», das müssten also «Schiin­schiesser» sein, aber das sagt kein Mensch.

Ihr Wissen hat Sie tolerant gemacht.

Ja, aber auch meine persönliche Geschichte. Als ich ein Kind war, kannte ich Leute, die konnten kein Schriftdeutsch. Mein Götti war so einer. Er war Bauer, und wenn jemand Schriftdeutsch sprach, ein Wanderer nach dem Weg fragte, sagte er mir: «Bueb, gang mit däm ga rede. Da uss stürmt eine.» Der hat den wirklich nicht verstanden. Heute hingegen ist das Schriftdeutsche so allgegenwärtig, als Lesesprache, Sprache der elektronischen Medien, dass es viel stärker auf den Dialekt einwirkt. Eines dürfen wir nicht vergessen: Für die Generation meiner Eltern gehörte die Mundart zum Päckli der geistigen Landesverteidigung. Dialekt und Schriftdeutsch mussten ganz klar getrennt werden. Es durfte keine ­Mischformen geben. Man sprach von «reinem Dialekt» und «reinem Schriftdeutsch». Man hatte im Geist also eine Mauer zwischen den beiden Sprachformen. Das ist heute völlig verschwunden.

Gott sei Dank.

Auch für Junge, die von Deutsch und Deutschland nicht viel halten, spielt der Abstand zwischen den beiden Sprachformen keine so grosse Rolle mehr. Bei meiner Arbeit beim Radio ist mir Folgendes aufgefallen, wenn ich Leute interviewt habe: Im informellen Vorgespräch sprach einer das wunderbarste Züritüütsch. Doch sowie er auf Sendung über seine Arbeit zu reden begann, drückte er seinen Dialekt Richtung Schriftdeutsch, weil das kompetenter klingt.

Sie meinen so was wie «Heruusforderig» statt «Useforderig», was Politiker chronisch sagen. Mich nervt das, und ich bewundere Ihre buddhistische oder vielmehr linguistische Gelassenheit.

(lacht) Ich muss jetzt nicht so tun, als sei ich über alles erhaben. Wie alle Menschen bin ich in einer bestimmten Zeit aufgewachsen und habe während dieser die Musik der Welt und die Musik meines Dialektes kennen gelernt. Wenn ich heute ins Emmental gehe und mit alten Bauersleuten rede, höre ich die Sprache, in der ich aufgewachsen bin. Das heimelt mich natürlich an. Aber ich kann trennen zwischen meinem persönlichen Empfinden und dem, was ich als Sprachwissenschaftler weiss. Sie können Ihren eigenen Sprachgebrauch kontrollieren?…

…aber den der Welt nicht.

Den kann man nicht befehlen. Sonst müsste man etwas wie eine Schweizer Mundartakademie haben, die den Sprachgebrauch befiehlt. Wollen wir das?

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